September 2012
Die VersMedV gibt vor, dass bei einer anhaltenden aggressiven Therapie ein GdS von 50 nicht unterschritten werden sollte. Angesichts einer in der anerkannten Fachliteratur fehlenden Begriffsbestimmung ist fraglich, was unter einer aggressiven Therapie zu verstehen ist.
Im Ergebnis einer umfänglichen Fachdiskussion wurde festgehalten, dass eine „aggressive Therapie“ in Zeiten rasch fortschreitender Arzneimittelentwicklung und Fortentwicklung der Therapieleitlinien nicht durch eine feste Arzneimittelkombination definiert ist.
Vielmehr sind die Auswirkungen einer über 6 Monate anhaltenden Therapie zu berücksichtigen. Vom BMAS wurde darauf hingewiesen, dass sich die Gesamtüberarbeitung der VersMedV mit der Thematik klarstellend befassen wird.
In Anbetracht derzeit erheblich diffuser Interpretationsvarianten und damit einhergehend grober Bewertungsschwankungen wurde beschlossen, der versorgungsmedizinischen Begutachtung überbrückend folgende Bewertungshilfen zur Hand zu geben:
1. Die bei weitem aggressivste Form der Therapie stellt die Behandlung mit dem Zytostatikum Cyclophosphamid dar. Die für die Immunsuppression benötigte Dosierung unterscheidet sich kaum von der in der Tumortherapie eingesetzten Dosis. Wegen Karzinogenität gilt jedoch äußerste Zurückhaltung bei Verwendung außerhalb der Krebstherapie. Durch Beeinträchtigung der Immunantwort besteht die Gefahr lebensbedrohlicher, bisweilen tödlicher Infektionen.
2. Das Zytostatikum Methotrexat, das als DMARD (disease modifying antirheumatic drug) in erheblich niedrigerer Dosierung eingesetzt wird (7,5-20 mg pro Woche) als zur Tumortherapie, zeigt nicht annähernd die gleichen Nebenwirkungen. Auch die Therapie mit den Immunsuppressiva Azathioprin, Ciclosporin und Mycophenolatmofetil weist nicht das gleiche Gefährdungspotential auf, so dass hier nicht von einer aggressiven Therapie im Sinne der versorgungsmedizinischen Grundsätze auszugehen ist.
3. Hinsichtlich der relativ neuen Gruppe der Biologika liegen gegenwärtig keine Daten vor, die gegenüber dem Cyclophospahmid ein vergleichbares Spektrum an unerwünschten Wirkungen aufweisen. Von einer aggressiven Therapie im Sinne der versorgungsmedizinischen Grundsätze ist nicht auszugehen.
4. Bei schweren Verlaufsformen der Erkrankungen des rheumatischen
Formenkreises erfolgt die medikamentöse Therapie
zusätzlich mit hochdosierten Glucocorticoiden. Darunter ist
eine Dosierung zu verstehen, die sich deutlich oberhalb der
Cushing-Schwelle von 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent pro
Tag bewegt. Bei einer alleinigen Therapie mit hochdosierten
Glucocorticoiden handelt es sich nicht um eine „aggressive
Therapie“. Sollte dieselbe über sechs Monate anhalten,
sind die Auswirkungen entsprechen eines Cushing-Syndroms
(Versorgungsmedizinische Grundsätze 15.7) zu bewerten.
Hinweis: In der Regel werden ohnehin Tagesdosierungen von
0,5-1,5 mg Prednisolon-Äquivalent pro kg Körpergewicht weit
unterhalb der Cushing-Schwelle verwendet.
Resümee
Von einer aggressiven Therapie im Sinne der VersMedV (GdS wenigstens
50!) kann ausgegangen werden, wenn Zytostatika im Anfangsstadium
einer hochentzündlich und aggressiv verlaufenden
Erkrankung in hoher Dosierung zur Vermeidung von irreparablen
Gelenk- oder Organschäden eingesetzt werden müssen und hierbei
mit starken Nebenwirkungen durch die Chemotherapie gerechnet
werden muss.
Diese Nebenwirkungen würden auftreten in Form einer deutlichen
Schädigung der Blutzellen, sich darstellen durch massive Entzündungen
der Schleimhäute und eine Blutungsneigung, sich dokumentieren
durch eine starke Appetitlosigkeit, durch eine erhebliche
Müdigkeit und Erschöpfung, wenn chronische Organschäden
an Herz, Lunge und Nieren drohen und wenn mit Nervenstörungen zu rechnen ist.